Inhalt / Kritik
So richtig toll ist das Familienleben der 10-jährigen Leah (Kiera Thompson) nicht gerade. Ihr Vater Thomas (Steven Cree), der sich als Pfarrer um die Gemeinde kümmert, ist praktisch nie für sie da. Ihre Mutter Sarah (Denise Gough) ist nervlich angekratzt, weshalb sie immer mal wieder überreagiert. Ihre ältere Schwester Bex (Hannah Rae) wiederum hat großes Vergnügen daran, Leah das Leben zur Hölle zu machen. Wenn da wenigstes Freunde wären, aber auch in der Hinsicht hat das Kind wenig Glück. Das ändert sich erst, als sie eines Tages einem mysteriösen Mädchen (Sienna Sayer) begegnet, welches Engelsflügel trägt. Froh endlich jemanden zum Reden und zum Spielen zu haben, freundet sich Leah rasch mit der Fremden an. Gleichzeitig wird sie nicht ganz schlau aus ihr. Woher weiß sie so viel über die Familie? Und was hat es mit den vielen Gegenständen auf sich, welche sie Leah suchen lässt?
Der weibliche Horror
Viel wurde in den letzten Jahren darüber gesprochen, dass es mehr Frauen auf den Regiestühlen braucht und damit verbunden neue Perspektiven und Sensibilitäten. Ein Genre, bei dem es in der Hinsicht tatsächlich bemerkenswerte Änderungen gab, ist das des Horrors. Immer mehr Regisseurinnen machen in diesem Gebiet von sich reden, erzählen ganz eigene Geschichten. Auffallend ist dabei, dass viele von ihnen stärker auf emotionale und psychologische Elemente setzen. Ob nun Jennifer Kent (Der Babadook), Natalie Erika James (Relic – Dunkles Vermächtnis), Rose Glass (Saint Maud) oder Prano Bailey-Bond (Censor), sie alle haben bemerkenswerte Debüts abgeliefert, die neugierig machen, welche Werke die Filmemacherinnen in Zukunft noch drehen werden.
Die Britin Ruth Platt hat im Vergleich bislang nicht ganz so viel Eindruck hinterlassen. Doch das könnte sich mit Martyrs Laneändern, ihrem bislang dritten Spielfilm als Regisseurin. Dabei schlägt sie wie ihre obigen Kolleginnen einen stärker auf eine persönliche Komponente ausgelegten Weg ein. Im Mittelpunkt steht bei ihr eine Familie, bei der einiges im Argen liegt. Dabei lässt sich die Filmemacherin, die auch das Drehbuch verfasst hat, relativ viel Zeit, bis es mal konkret wird. Der Film beginnt mit einem eher weiten Blick, der auch das Umfeld miteinbezieht. Doch je weiter die Geschichte voranschreitet, umso stärker verengt sich der Fokus. Dabei ist es in erster Linie Leah, die im Mittelpunkt steht, wenn sie mit dem rätselhaften Mädchen Freundschaft schließt und damit das eigentliche Abenteuer beginnt.
Der Alptraum der Einsamkeit
Horrorfilme um Kinder, die solche Freundschaften schließen, wechseln normalerweise schnell ins Dämonische. Brahms: The Boy II oder Come Play sind zwei Beispiele neueren Datums. Bei Martyrs Lane ist das ein wenig anders. Zwar hat auch das Mädchen, welches da eines Tages vor ihr steht, eine unheimliche Präsenz. Sie scheint aber mehr rätselhaft als bösartig. Zumal sie die einzige ist, die Leah tatsächlich Beachtung schenkt. Der Film erzählt gerade anfangs von Einsamkeit und dem Bedürfnis, bei anderen Anschluss zu finden und nicht mehr allein sein zu müssen. Tatsächlich kann man sich da sogar darüber streiten, ob das hier noch ein Horrorfilm ist oder nicht vielleicht doch eher ein Fantasydrama, angereichert mit einer größeren Portion Mystery.
Die Spannung besteht also mehr darin, herausfinden zu wollen, was es mit dem Mädchen auf sich hat – und natürlich mit all dem, was bei der Familie nicht angesprochen werden soll. Wer hingegen auf der Suche nach klassischem Horror ist, für den ist Martyrs Lane eher weniger zu gebrauchen. Hier gibt es keine Jump Scares, mit denen das Genre gerne das Publikum Furcht lehren will, wenn den Filmschaffenden nichts einfällt. Überhaupt sind bedrohliche Szenen recht selten. Stattdessen erschafft Platt eine irgendwie unwirkliche Atmosphäre, bei der vieles nicht zu stimmen scheint. Da hat auch die Musik ihren Anteil, die eben nicht auf anschwellende Dramatik aus ist, sondern gern mal mit fremdartigen Klängen arbeitet.
Leben mit einem Trauma
Die Auflösung ist da schon weniger ungewöhnlich. Tatsächlich dürfte ein erfahrenes Publikum recht früh ahnen, worauf das alles hinausläuft und was es mit dem Mädchen auf sich hat. Wirkung zeigt die Geschichte dennoch. Auf der Zielgeraden verlagert sich der Schwerpunkt auf das Emotionale, wenn Martyrs Laneauf die im Horrordrama-Bereich üblichen Themen Trauer und Schmerz eingeht. Wenn wir einer 10-Jährigen folgen, die in ihrer Familie verloren scheint, dann ist das das Ergebnis einer ganz anderen Leere und eines Traumas, das nie überwunden wurde. Je mehr sich der Film mit dem Tod auseinandersetzt, umso mehr nähert er sich dem Leben an. Sehenswert ist das auch für das Ensemble, gerade die Schauspielerinnen leisten hier sehr gute Arbeit und trösten damit über das doch ziemlich geringe Tempo hinweg.
Credits
OT: „Martyrs Lane“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie:Ruth Platt
Drehbuch: Ruth Platt
Musik: Anne Müller
Kamera: Márk Györi
Besetzung: Kiera Thompson, Denise Gough, Steven Cree, Anastasia Hille, Hannah Rae, Sienna Sayer
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